Der Indiengeier (Gyps indicus)

 

 

Der Indiengeier gehört zu den Altweltgeiern aus der Gattung der Gänsegeier (Gyps). Mit Spannweiten von 222-258 cm gehört er zu den großen Geiern. Wie sein Name schon verrät, ist er ein Bewohner des indischen Subkontinents. Seine Hauptverbreitungsgebiet liegt zwischen Ost-Pakistan und erstreckt sich von dort bis in den Norden von Delhi und im Süden über die Gangesebene bis in die Indusebene.

 

Wie sieht der Indiengeier aus?

 

Der Indiengeier hat das typische Aussehen eines Geiers der Gattung Gyps: große, lange und breite Flügel, Halskrause am Halsansatz, langer spärlich bewachsener Hals, kräftiger großer Schnabel.

 

Der Korpus ist an den Flanken, der Ober und Unterseite cremefarben hellbraun. Das Gleiche gilt für die Flügeldecken. Handschwingen und Armschwingen sind dunkel. Die mittleren Armschwingen sind länger als die ersten Handschwingen, was zu einer leichten Ausbuchtung am Flügelhinterrand führt. Hals und Kopf und Beine haben eine schiefergraue Haut. Beim adulten Vogel ist der Kopf nackt und nur der Hals ist ab dem Nacken leicht mit weißen Dunen bewachsen. Sehr kurzer Schwanz. Weißer Halskragen an der Schulter / Halsansatz.

 

Wie auch alle anderen, in Indien heimischen, Geierarten wurde der Indiengeier um die Jahrtausendwende ein Opfer von Wirkstoffen in Tierarzneimitteln und hat seitdem 97% seines Bestandes eingebüsst. Seine Status gilt als extrem gefährdet.

 

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Ingiengeier (Gyps indicus) - Source: ePhotocorp/Agentur iStock

 

Verbreitung und Bestandssituation des Indiengeiers

 

Während Fischer den Indiengeier noch als einen Häufigen Brutvogel in Indien beschrieb (1963), ist das heute leider nicht mehr der Fall. In den 1990er Jahren kam es zu einem erschreckenden Einbruch der Populationen beim Indiengeier. Wie auch bei den anderen zwei Gyps-Arten, dem Bengalgeier und dem Dünnschnabelgeier, sind Indiengeier in Massen durch den Verzehr von Kadavern umgekommen. Das Problem war seinerzeit die Einführung des Schmerzmittels in die Tiermedizin. Dieses Mittel wird seit langem erfolgreich in der Humanmedizin eingesetzt. Jeder, der orthopädische Beschwerden hat, kennt das Mittel und greift auch gerne bei Bedarf darauf zurück. Was beim Menschen eine gute Hilfe zur Schmerzbekämpfung ist, wurde von den Geiern nicht vertragen. Geier nehmen über Kadaver Leichengifte auf, die ihnen jedoch überhaupt nichts anhaben. Bei den Geiern führten die, in den Kadavern noch vorhandenen, Restmengen des Schmerzmittels zu akutem Organversagen und zum Verenden der Vögel.

 

Das in Südasien überraschend schnell verhängte Verbot von Diclofenac kam für 97% der Indiengeier leider zu spät. Denn um genau 97% brachen die Populationen ein. Trotz Verbot wird das Schmerzmittel immer noch illegal eingesetzt. Weiterführende Studien in Indien fanden inzwischen heraus, daß die Mittel Aclofenac, Nimesulide und Ketoprofen, einen ähnlichen Effekt bei den Geiern hervorrufen können. Durch Programme, die von privaten Organisationen wie z.B.  der Zoological Society of London, der Royal Society for the Protection of Birds (RSPB - UK) und den Regierungen von Indien, Nepal und Pakistan getragen werden, sind in Indien und Nepal Schutzgebiete für Geier eingerichtet worden, wo Geier ausgewildert und den Vögeln auch "verzehrbares Aas" zur Verfügung gestellt wird.

 

Trotz der laufenden Auswilderung, dürfte es durch die geringe Reproduktionsrate der Gyps-Arten noch lange dauern, bis die Populationen sich wieder erholt haben. Schließlich erreichen bei den Arten der Gattung Gyps nur 50% der flügge gewordenen Jungvögel das Ende des ersten Lebensjahres und nur noch 8% erreichen überhaupt die Brutreife.

 

In mehreren Regionen Südasiens ist der Indiengeier ausgestorben und wo er noch vorkommt ist der Status: "critically endangered". Der Bestand des Indiengeiers in Indien wird auf nur noch 12.000 Individuen veranschlagt.

 

 

 

Steckbrief: Indiengeier

 

Brutzeit – Gelege – Größe – Gewicht – Nahrung – Biotop – Alter

 

Systematische Einordnung:

Ordnung: Greifvögel (Accipitriformes)

Familie: Habichtverwandte (Accipitridae)

Gattung: Gänsegeier (Gyps)

Art: Indiengeier

 

Wissenschaftlicher Name: Gyps indicus

 

Namen und Synonyme des Indiengeiers

 

Englisch: Long-Billed Vulture or Indien Vulture

Französisch: Vautour indien

Niederländisch: Indische Gier

Italienisch: Grifone indiano

Spanisch: Buitre Indio

Finnisch: Intiankorppikotka

Dänisch: Indisk Grib

Schwedisch: Indiskgam

Polnisch: Sęp indyjski

Russisch: Индийский сип

Nepali: लामो ठू“डे गिद्ध

Malayalam: തവിട്ട്‌ കഴുകൻ

Thailändisch: อีแร้งสีน้ำตาล

Chinesisch: 印度兀鹜, 印度兀鹫

Chinesisch (traditional): 長嘴兀鷲

 

Beschreibung des Indiengeiers

 

Vorkommen / Verbreitung: Wie der Name schon sagt, ist der Indiengeier ein Bewohner des indischen Subkontinents. Sein Hauptverbreitungsgebiet liegt zwischen der Gangesebene und der Indusebene und dem Norden von Delhi.

 

Wanderungen: Wahrscheinlich nur Zerstreuungswanderungen der Jungvögel.

 

Lebensraum – Biotop: Der Indiengeier besiedelt Halbwüsten, trockene Vorgebirge, offene Landschaften in der Nähe von Siedlungen. In Mittelgebirgsgegenden kommt der Indiengeier bis in Höhen von 1.500 m vor. Als Bewohner der Wildnis, kommt er nicht in bewohnten Städten vor, wo er von Bengalgeier und Schmutzgeier vertreten wird.

 

Verhalten: Der Indiengeier ist eine sehr gesellige Geierart, die auch in Kolonien brütet. An Kadavern erscheinen Indiengeier immer in größeren Trupps. Obwohl Indiengeier selbst sehr groß sind, lassen sie sich am Aas von Kahlkopfgeier und Bengalgeier zurückdrängen. Am Aas herrscht die Hackordnung: KahlkopfgeierBengalgeier – Indiengeier. Jedoch sind sie am Aas friedlich in der Gesellschaft mit Gänsegeiern anzutreffen. In der Gangesniederung sind die Indiengeier, zusammen mit anderen Geierarten, als Leichenbestatter tätig.

 

Kennzeichen: Großer Geier mit nacktem Kopf und Hals. Der Gesamteindruck dieses großen Geiers ist eine hellbraune Oberseite mit noch hellerer Unterseite (Bauch und Flanken). Oberrücken blaßbraun, Bürzel weiß. Schwanz schwarz. Hand- und Armschwingen sind schwarz. Die dunkleren großen Oberflügel- und Unterflügeldecken setzen sich markant zwischen dem Dunkel der Hand- und Armschwingen und dem hellen Deckgefieder ab. Kropfschild ist dunkelbraun. Im Alterskleid wolliger, weißer Halskragen.

 

Schnabel: schwarz mit wachsgelblicher Spitze.

Schnabelbasis und Wachshaut: grünlich

 

Läufe: zwischen dunkelaschfarben bis schwarz / schiefergrau.

 

Iris: braun.

 

Größe: 89-103 cm

Schwanzlänge: 24-31 cm

Gewicht: 5.500-6.300 g

Spannweite: 222-258 cm

Flügellängen: 575-595 mm; ♂ und ♀ ähneln sich in der Flügellänge

 

Geschlechtsreife: wahrscheinlich nicht vor dem 3.-4. Jahr.

Paarungszeit: Balz fällt mit dem Horstbau und Horstbezug zusammen, der vor der Eiablage stattfindet.

 

Bruten1 Jahresbrut

Eiablage: ab Dezember

Brutzeit: Dezember bis Februar / März.

 

Nest: Kleinere Horstplattform aus Reisig.

Neststandort: Koloniebrüter, der überwiegend seine Horste in Felswänden anlegt. Wo solche fehlen, werden Horste auch auf Bäumen angelegt.

 

 

Gelege: 1 Ei

Eier: Ei mit grünweißer Schale, die nur selten eine rotbraune Fleckung aufweist.

 

Eimasse und Eigewichte

Länge x Breite: 91,7x69,9 mm

Gewicht: ≈ ??? g

 

Nachgelege: wahrscheinlich nur bei Verlust im frühen Brutstadium.

 

Brutdauer: ≃ 45-50 Tage

 

Nestlingsdauer - Führungszeit: bedunte Nesthocker, die von beiden Altvögeln gefüttert werden. Analog zu den anderen Arten der Gattung Gyps ist von einer Nestlingszeit von 80-90 Tagen auszugehen. .

 

Flügge: Es ist davon auszugehen, daß die jungen Indiengeier nach dem Ausfliegen noch über mehrere Wochen von den Altvögeln betreut und gefüttert werden. Jedoch liegen keine genauen Ergebnisse zum Aufzuchtverhalten vor.

 

Nahrung: Reiner Aasverwerter.

 

Lebensdauer: unbekannt.

 

Mortalität - Sterblichkeit: Junggeier der Gattung Gyps sind in den ersten 2 Monaten noch sehr gefährdet. In dieser Zeit kommen die meisten der ausgeflogenen Individuen um. Wenn der Junggeier die ersten 2 Monate überlebt hat, steigen seine Chancen, die Brutreife zu erreichen. Nur 50% der Junggeier erreichen überhaupt das Ende des ersten Lebensjahres. Nur 8% erreichen noch die Brutreife.

 

Feinde und Gefährdungen: Wie alle anderen indischen Geierarten extrem gefährdet, da durch die Verwendung von Diclofenac in Tierarzneimittel um die Jahrtausendwende über 97% der Brutbestände umgekommen sind.

 

 

 

Quellennachweise

 

Brown, Leslie, Die Greifvögel, Ihre Biologie und Ökologie, Paul Parey Verlag Hamburg und Berlin, 1979

Ferguson-Lees, James, Christie, David, Raptors of the World, A Field Guide, Christopher Helm London, 2005, reprinted 2019

Fischer, Wolfgang, Die Geier, Die Neue Brehm-Bücherei, A. Ziemsen Verlag Lutherstadt Wittenberg, 1963

Grzimek, Bernhard et al (HG), Grzimeks Tierleben, Band VII, Vögel 1, Kindler Verlag AG Zürich, 1968

Weick, Friedhelm, Die Greifvögel der Welt, Verlag Paul Parey Hamburg und Berlin, 1980

 

Bildnachweise

 

Indiengeier (Gyps indicus) - Source: ePhotocorp/Agentur iStock